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Biodynamischer Weinbau: Hokuspokus oder das Mass aller Dinge?

19. August 2019

Biodynamischer Weinbau: Hokuspokus oder das Mass aller Dinge?

Adrian Hartmann führt seit vier Jahren sein eigenes Weingut in Oberflachs nach biodynamischen Grundsätzen: grosse Naturverbundenheit, grosses Potenzial. Fabian Kohler hat den Winzer im Aargau besucht und berichtet fasziniert von den vielen Eindrücken und naturbelassenen, ausdrucksstarken Weinen.



Der unterschätzte Weinbaukanton

Aargau und Wein. Was auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz so offensichtlich erscheint, hat eine lange Geschichte und grosses Potenzial. Bereits die Römer brachten den Wein in die Gegend und vor Beginn der Industrialisierung hatte der Kanton Aargau 2‘700 Hektaren Reben – mehr als damals das Wallis. Mittlerweile findet der Weinbau im Aargau im deutlich kleineren Rahmen statt (es gibt noch rund 400 Hektaren), die Erzeugnisse sind qualitativ jedoch äusserst interessant. Die Toplagen befinden sich unter anderem am Jura Südhang im Schenkenbergertal. Am östlichen Talausgang liegt Schinznach, im Westen bilden zwei Höhenzüge des Kettenjuras die Talgrenze. Die Gegend ist mikroklimatisch mit wenig Niederschlag gesegnet und hat tiefgründige Muschelkalkböden, welche sehr speicherfähig, aber trotzdem nicht allzu schwer sind. Mittendrin – in Oberflachs – ist Adrian Hartmann mit seinem Weingut zu Hause, den ich diesen Frühsommer besuchte.

Der Weg dahin

Adrian bewirtschaftet seit vier Jahren sein Weingut mit rund vier Hektaren Reben – nach biodynamischen Richtlinien. Als ich ihn fragte, ob es ein spezielles Erlebnis gab, weshalb er die Reben auf Demeter-Art bewirtschaftet, meinte er: «Nein, ein einzelnes Ereignis gab es nicht. Das Interesse für die Biodynamik ist langsam gewachsen.» Denn Adrian hat eine konventionelle Ausbildung absolviert: zuerst eine Winzer-Lehre, danach ein Oenologie-Studium. «Immer wieder dachte ich mir jedoch, dass es doch noch einen anderen Weg geben muss, als den konventionellen», so der Winzer. Heute ist er überzeugter denn je, mit dem biodynamischen Anbau, den für ihn richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

180 Grad anders als gelernt

«An der Arbeitsweise fasziniert mich das ganzheitliche Denken und Handeln», so Adrian. Das heisst, nicht nur Symptome bekämpft wie beim konventionellen Weinbau, sondern die Sache bei den Wurzeln packen. Was das genau bedeutet, wollte ich von ihm wissen – und Adrian zeigt mit grosser Begeisterung die Vielseitigkeit seiner Arbeit anhand von verschiedenen Massnahmen auf:

Kuh-Hörner, Bergkristall und Baldrian

Zum Beispiel verwendet Adrian Hornmist. Zur Gewinnung dieses Präparats wird eine kleine Handvoll frischer Mist in das ausgehöhlte Kuh-Horn gefüllt. Das Horn wird in der Erde vergraben, wo es sich zu zersetzen beginnt. Nach einer gewissen Zeit wird das Horn – oder was davon noch übrig ist – ausgegraben und im Wasser aufgelöst. «Das daraus gewonnene Präparat wird in den Rebberg gespritzt und belebt den Boden», erklärt Adrian. Oder Hornkieselpräparate: hier wird zermahlener Bergkristall ebenfalls in ein Kuh-Horn gefüllt und vergraben. Das Resultat: Der Boden wird mit Licht und Wärme versorgt, wodurch die Reben auch durch die Wurzeln damit gespiesen werden. Und vor Extrem-Ereignissen wie Hagel spritzt Adrian eine Baldrian-Mischung auf die Reben, um diese zu beruhigen.

Mit Backpulver gegen Mehltau

Oftmals wird kritisiert, dass beim biologischen und biodynamischen Anbau das Schwermetall Kupfer eingesetzt wird. Adrian versucht, den Kupfer-Einsatz so gering wie möglich zu halten und lotet hier das absolute Minimum aus. Damit geht er das Risiko ein, ab und zu Mehltau* zu erwischen und so Trauben zu verlieren. Und anstelle von Schwefel setzt Adrian Backpulver ein – ein Hausmittelchen sozusagen.

Adrian tut scheinbar alles, damit seine Reben optimal wachsen können, widerstandsfähiger werden und auch der Boden gesund bleibt. Ich bin begeistert und fasziniert von den verschiedenen Ansätzen.

Weil nur im Rebberg guter Wein entsteht

Etwas vom allerwichtigsten für Top-Weine ist und bleibt der optimale Lesezeitpunkt der Trauben. Mit den rund vier Hektaren erlaubt die Grösse des Betriebes eine exakte Planung, um alle Trauben in optimalem Reifezustand in den Keller zu bringen. Und bei Adrian wird selbstverständlich alles von Hand gelesen.

Im Keller greift Adrian dann nur noch sehr minimalistisch ein. Die Gärung beispielsweise erfolgt spontan – wann der Traubenmost also zu gären beginnt, wird komplett der Natur überlassen. «Das Hinzufügen von Reinzuchthefen ist im biodynamischen Weinbau seit zwei Jahren verboten», erklärte mir der Winzer. Die Weine werden dadurch vielschichtiger, komplexer und Terroir-betonter. «Diese Art Wein zu machen birgt sicher ein etwas grösseres Risiko, dafür macht die Arbeit umso mehr Freude», so Adrian – und das sieht man ihm auch an.

Das Ganze auf die Spitze treiben

All dies finde ich äusserst spannend und hoch interessant. Das Ganze kann man aber noch toppen, wenn man wie Adrian im Garten zwei 600 Liter-Amphoren vergräbt, die Trauben nach der Lese hineingibt und den Deckel schliesst. Danach wartet man bis im Frühling und zieht den Most in ein Holzfass, wo sich die Weine von alleine vom Trübstoff befreien. Diese Methode erfordert viel Zeit. Und da der erste Jahrgang immer noch in den Barriques liegt, bleibt es spannend.

Zum Abschluss kann ich nur sagen: Ich bin beeindruckt von meinem Besuch in Oberflachs. Adrian ist angekommen. Er geht seinen Weg und wird uns in Zukunft noch viel Freude bereiten. Die neuen Jahrgänge Pinot Noir 2017 und RieslingxSylvaner 2018 sind unglaublich spannend und aus meiner Sicht spektakulär! Eine absolute Kaufempfehlung!

Überzeugen Sie sich selber! Die Weine von Adrian sind bei uns im WEINLADEN und im WEBSHOP verfügbar:



Fabian Kohler, im August 2019



*Mehltau: Beim Mehltau unterscheidet man zwischen dem echten und dem falschen Mehltau. Der echte Mehltau-Pilz bildet auf den Blättern der Rebe einen mehligen Belag. Anschliessend verfärben sich die Blätter und trocknen aus. Beim falschen Mehltau sind die Symptome vielseitiger. Meistens bilden sich am Anfang ölartige Flecken auf der Blattoberseite, danach bildet sich ein Pilz auf der Blattunterseite. In beiden Fällen entzieht der Mehltau den Pflanzen die nötigen Nährstoffe und kann auch die Beeren befallen, was  negative Geruchs- und Geschmacksnoten im Wein hervorrufen kann.